Direkt überm Bauchnabel tut's weh

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Wie bitte kommt die Verliebtheit in den Bauch? Was macht sie da? Und wie kriegt man sie wieder raus?
Manchmal verliebt man sich mit dem Kopf und manchmal viel weiter unten. Manchmal bemerkt man die Verliebtheit erst nach dem dritten Glas Wein, und manchmal ist sie am Morgen schon wieder verschwunden. Ich mag die Verliebtheit in all ihren Spielarten, normalerweise heiße ich sie willkommen und lasse sie sentimentalen Herzens wieder gehen. Aber jetzt habe ich eine, die ist anders.
„Es tut DA weh“, sage ich, schiebe mein T-Shirt ein Stück hoch und zeige auf die Stelle direkt über meinem Bauchnabel. Meine Freundin guckt betroffen und hilflos. „Das ist die schlimmste Art“, sagt sie, „die ist ganz tückisch, schwer wieder loszuwerden.“ Ich schaue skeptisch an mir herunter. Die Stelle direkt überm Bauchnabel ist bei mir nicht so schön. Da ist eine Fettschicht, die legt sich in hässliche Rollen, wenn ich sitze. Wie beim Michelinmännchen. Aber sie fühlt sich gut an, diese Stelle. Weich und warm. Harmlos. Vollkommen unmöglich, dass von diesem ganz und gar gutmütigem Stück Körper eine so heimtückische Verliebtheit ausgehen soll. Ich drücke ein bisschen auf der Stelle rum, aber es tut sich nichts. Der Schmerz ist noch da; wobei, es ist kein richtiger Schmerz, es ist eher ein flaues Gefühl. Nein, nicht so, als ob man Hunger hat, so auch wieder nicht. Das Gefühl hat auch überhaupt nichts mit diesen abgestandenen Metaphern wie „Flugzeuge oder Schmetterlinge im Bauch“ zu tun. Das klingt nämlich nach leichter locker-flockiger Verliebtheit, nach rosa Brille und Schwebezustand und solchem Kram. Herrje, nein, das ist nicht meine Art Verliebtheit. Meine ist tückisch und tut weh! Es ist so als ob,… ja, als ob da was fehlt! Genau dort, circa 5 Zentimeter über meinem Bauchnabel, gut versteckt hinter dem leidigen Fett, da ist ein Hohlraum in mir.
„Was ist denn da normalerweise?“ frage ich meine Freundin und zeige wieder auf meinen Bauch. Ich kenne mich nicht so gut aus mit Anatomie. Sie zuckt die Schultern. „Keine Ahnung, der Magen, nehme ich an.“ Der Magen also. Ich glaube aber nicht, dass der Magen etwas damit zu tun hat. Ich weiß, wie sich Magenschmerzen anfühlen. Nicht nur die vom schlechten Essen, sondern auch die, die man vor Prüfungen hat oder durch Stress. Aber das ist nicht das gleiche. Da bin ich ganz sicher. Seit ich die Verliebtheitssymptome habe, habe ich mal ein paar Tage nichts gegessen und dann wieder ganz viel Schokolade. Das hat aber überhaupt nichts verändert. Gar nichts.
Ich verstehe die Bauchverliebtheit nicht. Das macht mich wahnsinnig. Bei mir ist es so, dass ich die Dinge gerne verstehe. Deshalb rege ich mich auf: „Aber das kann doch gar nicht sein! Wenn da an dieser Stelle nichts ist außer dem Magen und vielleicht noch der Galle oder was weiß ich welches Zeug, warum fühle ich mich dann so als hätte ich ein Loch im Bauch? Und dieses Loch macht mir Schmerzen, aber die wiederum sind so diffus, dass ich sie nicht orten kann. Das ist doch komplett irrational.“ Meine Freundin guckt mich sehr mitleidig an: „Du bist verliebt. Unglücklich.“ Na vielen Dank, als wüsste ich das nicht selber. „Ach so, und die unglückliche Verliebtheit spielt sich in einem Hohlraum in meinem Bauch ab und die glückliche woanders, oder was? Hältst du das für eine vernünftige Erklärung meines Zustands?“ Meine Stimme überschlägt sich fast. Ich weiß, dass ich ungerecht bin, sie will ja nur helfen, aber ich kann nicht mehr schlafen und essen und denken und alles, seit ich dieses Dings habe, diese Verliebtheit im Bauch. Deshalb bin ich so gereizt. Die muss da wieder raus, so kann ich doch nicht leben! „Nun ja“, sagt meine Freundin kleinlaut, sie ist jetzt etwas eingeschüchtert, „vielleicht gibt es keine vernünftige Erklärung, aber sieh es doch mal so: Der Hohlraum ist ein Symbol dafür, dass du etwas verloren hast. Und nun stell dir vor, dass er ab jetzt langsam zuwächst und schon bald ist er kaum mehr zu spüren. Und eines Morgens wachst du auf und bist sie los, die Verliebtheit im Bauch.“ Sie gibt sich alle Mühe, das muss man ihr lassen.
Zu Hause lege ich eine Wärmflasche auf die weiche Stelle direkt über meinem Bauchnabel. Ich liege im Bett und warte und stelle mir vor, wie die Leere in meinem Bauch zuwächst. Ich denke, dass das, was da drinnen kaputt ist, das, warum es so weh tut jetzt, dass das schneller heilt durch die Wärme. Aber sicher weiß ich es nicht, denn ich frage mich noch immer, was genau da eigentlich weh tut an dieser Stelle direkt über meinem Bauchnabel? Na ja, wie gesagt: Ich kenne mich nicht so gut aus mit Anatomie.
I've got two White Russians but we also need some drinks.
- Kanye West

Re: Direkt überm Bauchnabel tut's weh

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ich antworte mal mit einer anderen geschichte

Einem Mann Namens Gerhard gefällt eine Frau Namens Susanne. Er fragt sie, ob sie ins Kino gehen will, sie sagt ja, und beide verbringen einen sehr lustigen Abend. Ein paar Tage später lädt er sie zum Abendessen ein, und sie haben wieder viel Spaß. Fortan treffen Sie sich regelmäßig, und nach einiger Zeit trifft sich keiner von beiden mit irgend jemand anders mehr. Eines Abends, als sie nach Hause fahren, schießt ein Gedanke durch Susannes Kopf, und, ohne richtig drüber nachzudenken, spricht sie ihn aus: "Ist Dir klar, dass wir uns mit dem heutigen Abend seit genau 6 Monaten treffen?" Stille. Susanne kommt die Stille sehr laut vor. Sie denkt: "Oje, ob es ihn nervt, dass ich das gesagt habe? Vielleicht fühlt er sich durch unsere Beziehung eingeschränkt, oder er fühlt sich von mir in eine Pflichtrolle gedrängt." Und Gerhard denkt sich "Wow, 6 Monate." Und Susanne denkt sich: "Moment, ich bin gar nicht sicher, ob ich so eine Art Beziehung will. Manchmal hätte ich lieber mehr Freiraum, ich werde Zeit brauchen, mir zu überlegen, ob ich so weiter machen will. Ich meine, wo führt uns das hin? Wird es immer so weiter gehen, oder schreiten wir auf eine Ehe zu? Vielleicht sogar auf Kinder? Darauf, unser restliches Leben miteinander zu verbringen? Bin ich bereit, diese Verpflichtung einzugehen? Kenne ich diesen Menschen überhaupt?" Und Gerhard denkt sich: "Hm, das heißt, es war ... mal sehen ... Februar, als wir anfingen, uns zu treffen, das war gleich nachdem ich das Auto beim Service hatte, das heisst ... wie ist der Kilometerstand? Au weia! Die Karre ist überfällig für einen Ölwechsel!" Und Susanne denkt sich: "Er ist besorgt. Ich sehe es in seinem Gesicht. Vielleicht war mir nicht ganz klar, wie er die Sache sieht. Vielleicht will er mehr von unserer Beziehung, mehr Intimität, eine tiefere Bindung, vielleicht hat er, sogar schon vor mir, gespürt, dass ich mich zu sehr zurückhalte. Ja, das ist es. Deswegen spricht er so selten über seine Gefühle. Er hat Angst, zurückgewiesen zu werden." Und Gerhard denkt sich: "Die sollen sich auf jeden Fall noch einmal das Getriebe ansehen. Ist mir völlig egal, was diese Deppen sagen, die Schaltung funktioniert noch immer nicht richtig. Und diesmal können sie es auch nicht aufs kalte Wetter schieben. Wir haben 30 Grad, und das Ding hier schaltet sich wie ein Lastwagen von der Müllabfuhr. Und ich habe diesen inkompetenten Gaunern 1200 Mark bezahlt." Und Susanne denkt sich: "Er ist sauer. Ich kanns ihm nicht übel nehmen, ich wär's auch. Ich fühle mich so schuldig, ihm das anzutun, aber ich kann nichts für meine Gefühle, ich bin einfach unsicher." Und Gerhard denkt sich: "Wahrscheinlich werden sie sagen, es gibt nur 90 Tage Garantie, diese Säcke!" Und Susanne denkt sich: "Wahrscheinlich bin ich viel zu idealistisch, und warte auf einen Ritter auf einem weißen Pferd, während ich hier neben einem superlieben Menschen sitze, einem Menschen, mit dem ich gern zusammen bin, um den ich mich wirklich sorge und der sich wirklich um mich sorgt. Einem Menschen, der wegen meiner selbstherrlichen Schulmädchenfantasien leiden muss." Und Gerhard denkt sich: "Garantie? Die reden von Garantie? Können sie haben, ich nehme ihre Garantie und stecke sie ihnen in ..." Gerhard", sagt Susanne laut. "Was?" sagt Gerhard erschrocken. "Bitte quäl dich nicht so", sagt sie, während sich ihre Augen mit Tränen füllen. "Vielleicht hätte ich niemals .. Oh Gott, ich fühle mich so ..." (Sie verstummt, schluchzt). "Was?" sagt Gerhard. "Ich bin so dumm", schluchzt Susanne, "Ich meine, ich weiß, dass es nie einen Ritter geben wird. Es ist so dumm. Weder einen Ritter noch ein Pferd." "Es gibt kein Pferd?", fragt Gerhard. "Du denkst auch, dass ich dumm bin, oder?", sagt Susanne. "Nein!", sagt Gerhard, froh, endlich eine richtige Antwort zu haben. "Die Sache ist die ... es ist einfach so ... ich brauche ein wenig Zeit", sagt Susanne. (Es entsteht eine 15sekündige Pause, in der Gerhard versucht, so schnell er kann mit einer sicheren Antwort aufzuwarten. Endlich fällt ihm etwas ein, das funktionieren sollte.) "Ja", sagt er. (Susanne, tief bewegt, berührt seine Hand) "Oh Gerhard, denkst du wirklich so darüber?" fragt sie. "Worüber?" fragt Gerhard. "Über ein wenig mehr Zeit" sagt Susanne. "Oh", sagt Gerhard, "Ja.". (Susanne dreht sich zu ihm und sieht ihm tief in die Augen, wodurch er schrecklich nervös darüber wird, was sie als nächstes sagen wird, besonders, wenn darin ein Pferd vorkommen sollte. Endlich spricht sie.) "Danke, Gerhard", sagt sie. "Ich danke Dir", sagt Gerhard. Dann bringt er sie nach Hause, wo sie sich auf ihr Bett legt, eine von Konflikten geschüttelte, gequälte Seele, und bis in den Morgen weint. Gerhard fährt nach Hause, holt sich eine Tüte Chips, dreht den Fernseher auf, und wird schnell von der Wiederholung eines Tennismatchs zwischen zwei Neuseeländern, von denen er noch nie was gehört hat, in den Bann gezogen. Eine leise Stimme irgendwo in seinem Kopf sagt ihm, dass heute in dem Auto höchstwahrscheinlich etwas wirklich wichtiges passiert ist, aber er ist sicher, dass er niemals verstehen würde, was das war, also beschließt er, nicht weiter darüber nachzudenken. Am nächsten Tag wird Susanne ihre beste Freundin anrufen, vielleicht sogar noch eine, und mit ihr 6 Stunden lang über die ganze Sache reden. In sorgfältiger Detailarbeit werden sie alles was sie sagte, und auch alles was er sagte, analysieren, jedes Wort, jeden Ausdruck, jede Geste, um Nuancen in der Bedeutung des gesagten zu finden, und um jede mögliche Variante durchzugehen. Das ganze wird sich wochenlang, wenn nicht monatelang hinziehen, ohne jemals in einer plausiblen Schlussfolgerung zu enden, aber auch, ohne jemals langweilig zu werden. Irgendwann während dieser Zeit wird Gerhard, während eines Squashmatches mit einem Freund, der sie beide kennt, kurz innehalten und fragen: "Peter, hat Susanne mal ein Pferd gehabt?". Und DAS ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen! .